Der Bau von Nebenbetriebe an den Reichsautobahnen begann nach den Streckeneröffnungen ab 1935. Die größte Bekanntheit erlangte die erste Reichsautobahn-Tankstelle an der Anschlussstelle Darmstadt der Bau-Strecke 34 Frankfurt – Mannheim/Heidelberg – auch Muster-Tankstelle genannt. Die zwischen Februar und April 1937 an der früheren Anschlussstelle Frankfurt/Main-Nord der Bau-Strecke 30 Frankfurt – Giessen bei Bau-Kilometer 7,5 + 15,50 errichtete und am 3. Mai 1937 in Betrieb genommene Tankstelle erhielt in der zeitgenössischen Fachliteratur wegen der besonderen Gestaltung ebenfalls erhöhte Aufmerksamkeit. An ihre Geschichte soll dieser Beitrag erinnern. Lage und ArchitekturBonatz/Wehner beschrieben die Lage der Tankstelle Frankfurt/Main-Nord in ihrem Arbeitsheft zu den Reichsautobahntankanlagen. [1] Der dort abgebildete Lageplan gibt aber keinen genauen Hinweis zur Position der Anlage. Sie lässt sich allerdings anhand der Nordung rekonstruieren. Danach wurde sie als so genannte Dreiecks- oder Insel-Tankstelle auf der westlichen Seite der Autobahn errichtet, war also nur für den an dieser Anschlussstelle nach Wiesbaden abfahrenden und in Richtung Mannheim auffahrenden sowie für den Durchgangsverkehr der Reichsautobahn von Giessen nach Bruchsal erreichbar. Bild 1: Lageplan der RAB-Tankstelle Frankfurt/Main-Nord (Bonatz/Wehner, S. 18)
Bild 2: Tankstelle Frankfurt/Main-Nord, Blickpunkt von Nord-Osten, Im Vordergrund ist die Richtungsfahrbahn nach Süden zu sehen (Bonatz/Wehner, S. 20)
Bild 3: Tankstelle Frankfurt/Main-Nord, von Süd-Westen gesehen (Bonatz/Wehner, S. 21). Im Vordergrund ist die gepflasterte Fahrbahn der Zufahrt in Richtung Darmstadt zu erkennen. Die Autoren verglichen die Tankstellen-Architektur mit den damals gängigen Leuna-Tankstellen (siehe Bonatz/Wehner, S. 17 in der Schrift). Doch fanden sie zum Bau auch kritische Worte: "Fenster bündig im Putz sitzend, die Türe ebenso eingeschnitten, bieten nicht die genügende Beständigkeit bei großer Benützung. Die Platte des Daches, Eisenbeton, ist sehr dünn und zart gewählt. Völlig glatte, verputzte Untersicht, Gefahr der Rissebildung" (vgl. Bonatz/Wehner, S. 18). Eine offenbar aus einem fahrenden Auto aufgenommene Fotografie (vermutlich 1937) zeigt die Westansicht der Tankstelle. Anders als bei den vorherigen Fotos sind die jeweils drei Zapfsäulen links und rechts unter den auskragenden Vordächern und der Kassenraum im abgerundeten Teil des Gebäudes gut zu sehen. Bild 4: Tankstelle vom Typ „ Frankfurt” an der ehemaligen Strecke 30 bei der Anschlussstelle Frankfurt-Nord (Architekt: Carl August Bembé), um 1937 (Blick nach Osten), Foto: Aufsberg, Lala; Wiedergabe des Bildes mit freundl. Genehmigung: © Bildarchiv Foto Marburg/Lala Aufsberg) www.fotomarburg.de Die schematische Darstellung der Reichautobahnkreuzung Frankfurt/Main-Nord mit der Kraftwagenstraße Höchst - Wiesbaden (Bild 5) zeigt die damalige Situation im Überblick. [2] Zu sehen ist ein ¾-Kleeblatt mit stark verschobenen „Ohren“ und eine davon abgesetzte Anschluss-Rampe. Diese für ein Autobahn-Kleeblatt ungewöhnliche Konstruktion war die Folge der sehr beengten Platzverhältnisse am Fluss Nidda, der kurz vor der Kreuzung mit einer Plattenrahmenbrück aus Sichtbeton überquert werden musste (Ausführung: Arge Hochtief AG und Kunz Söhne GmbH, Frankfurt/Main; Gesamtbreite der Brücke 24,4 m; Baubeginn: 4.2.1935, Bauende: 15.4.1936). Der Anschluss der Kraftwagenstraße Frankfurt – Wiesbaden an die Reichsautobahnstrecke 30 Bad Nauheim – Frankfurt/M. war lange heftig umstritten. Die preußische Bezirksverwaltung in Wiesbaden und die Stadt Frankfurt forderten, eine Kreuzung für zwei Autobahnen zu bauen, da sich an dieser Stelle sehr bald ein erheblicher Verkehr aus Mainz, Wiesbaden und dem Taunus abspielen werde und deshalb mit großen Verkehrsstockungen zu rechnen sei. Außerdem solle dort nach den Plänen der Obersten Bauleitung Reichsautobahnen, Frankfurt/M., (OBR) auch ein „Autobahnhof“ errichtet werden. [3] Da die Autostraße Frankfurt – Wiesbaden auf langen Strecken völlig kreuzungsfrei geführt sei und insofern große Fahrgeschwindigkeiten zulasse, sei es zur Vermeidung von Unfällen zwingend erforderlich, auch eine kreuzungsfreie Anschlussmöglichkeit zu schaffen. Bild 5: Schematische Dartsellung der Kreuzung Frankfurt/M.-Nord (heute AK Frankfurt-West) Die OBR Frankfurt vertrat hingegen den Standpunkt, dass es sich hier um die Kreuzung einer Reichsautobahn mit einer normalen Straße handele, wofür die übliche Anschlussstelle ausreichen würde. Erst nach massiven Interventionen des Frankfurter Bauamtes sowie einer Ortsbesichtigung zusammen mit Fritz Todt stimmte die Reichsautobahn-Direktion Berlin schließlich mit Schreiben vom 27. September 1934 an die OBR Frankfurt einer plankreuzungsfreien Ausgestaltung zu. Die vorläufige Baufreigabe durch Todt erfolgte am 3. Oktober 1934, die endgültige Genehmigung traf erst am 29. Januar 1936 ein. [4] Bilder 6 und 7: Die von der OBR Frankfurt vorgeschlagene, übliche RAB-Anschlussstelle (links) und die dann realisierte, kleeblattartige Kreuzung [5] Die nicht maßstabsgetreue, schematische Zeichnung (Bild 6) hatte die Motorbrigade Frankfurt-Darmstadt des Nationalsozialistischen Kraftfahr-Korps (NSKK) zusammen mit Vorschlägen für eine ausreichende Verkehrsschilder an die OBR Frankfurt eingereicht, weil aus ihrer Sicht die Beschilderung an der Kreuzung nach der Verkehrsfreigabe am 26. September 1936 völlig unzureichend war. Bau und EröffnungDie „Verhandlungsschrift über die Inbetriebsetzung und die Übergabe der Reichsautobahn-Tankstelle in Frankfurt (M)“ vom 3. Mai 1937 zeigt, dass die fertige Anlage „am 3. Mai 1937 für die Inbetriebnahme geprüft“ und für in Ordnung befunden wurde. Insofern konnte die Tankstelle anschließend in Betrieb genommen und gleichzeitige der Reichsautobahn-Kraftstoff-GmbH Berlin übergeben“ werden. [6] Bild 8: Übergabeprotokoll vom 3. Mai 1937 Gebäude und Ausstattung„Die Tankstelle wurde als große Anlage nach dem Entwurf 'Form Bembé' ausgeführt“, ist in der Baubeschreibung der OBR Frankfurt (M) zu lesen. [6] Die Erd- und Dachgeschossmauern des Tankhauses bestanden zum überwiegenden Teil aus Eisenbeton. Die Dachkonstruktion war eine Stahlkonstruktion; sie überspannte das Gebäude und die beiden Zapfinseln, wo die Auflagelast über vier Stahlrohrstützen abgetragen wurde. Das flache Pappdach lag auf Holzsparren und einer Schalung und war zur Abführung des Regenwassers durch das Tankhaus nach innen gewölbt. Die Unterseite des Daches war weiß verputzt und enthielt die Leuchtrinnen mit Planspiegellampen zur blendfreien Ausleuchtung der Anlage. Bild 9: Ansichten und Grundriss der ehemaligen Tankstelle Frankfurt/Main-Nord Das Tankstellengebäude enthielt im Kellergeschoss den Heizkessel für die Erwärmung der Räume im Erdgeschoss, einen Boiler für die Warmwasserversorgung der Waschbecken im Öl- und Nebenraum sowie den Kompressor für Druckluft. Im Erdgeschoss befanden sich der Tankwartraum, der Werkstattraum mit Ölflaschenregal, Werkbank, Werkzeug- und Kleiderschränken sowie Zugang zum Keller, der Ruheraum für den Nachtdienst, ein Streckendienstraum mit separatem Zugang und der Vorraum mit Zugang zu den getrennten Herren- und Damen-Toiletten, und ein Warteraum mit Fernsprechzelle. Das Erdgeschoss konnte über mehrere Türen betreten werden. Im kanzelartig gerundeten Mittelteil befand sich der Arbeitsplatz des Tankwarts, von dort hatte er einen guten Überblick auf die Zapfsäulen und die Anschlussstelle. Hier befanden sich der Kundenraum, die Kasse, sowie eine Abstellkammer. Der bei Tankstellen erwünschte Erfrischungsbetrieb mit Gästeraum, Küche, Anrichte, Vorrats- und Personalräumen war angesichts der beengten Platzverhältnisse in diesem Tankstellentyp nicht unterzubringen. ZapfsäulenAuf den beiden überdachten Inseln A und B standen insgesamt sechs Zapfsäulen zur Verfügung. An den äußeren Zapfstellen (A I + III, B I + III) wurde „Reichsautobahn-Benzin“ abgegeben, an den beiden mittleren Säulen (A II und B II) gab es „Reichsautobahn-Gemisch“ für Zwei-Takt-Motoren. Die drei unterirdischen Brennstoffbehälter lagerten auf Eisenbeton-Fundamentplatten; sie fassten je 25.000 Liter Kraftstoff (Behälter I und III Benzin, Behälter II Gemisch). An jeder Insel stand eine Entnahmestelle für Wasser und Pressluft sowie eine versenkte Steckdose zum Anschluss einer Handlampe zur Verfügung. Eine weitere Entnahmestelle für Wasser und Pressluft war an der Rückseite des Tankgebäudes mit Blick auf die Autobahn angebracht. Für Reparaturen gab es an der Westspitze des Dreiecks einen Wagenheber mit einer Hubleistung von 4 t. Bild 10: Zapfsäule mit elektrischer Pumpe [10] Das Recht zum Betreiben der Tankstellen an Reichsautobahnen und dem Verkauf von Treibstoffen und Ölen lag exklusiv bei der eigens hierfür gegründeten Reichsautobahn-Kraftstoff-Gesellschaft GmbH, um zu vermeiden, dass die Markenanbieter mit ihren Tankstellen entlang der Reichsautobahnen die Inszenierung der „Straßen des Führers“ störten. [7] Die für das gesamte Reichsgebiet gültige „Anordnung über die Beschränkung des Tankstellennetzes“ vom 24. Juli 1934 bestimmte, dass 10 Kilometer beiderseits von Reichsautobahnstrecken Tankstellen nur mit Zustimmung des Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen errichtet, erweitert oder verlegt werden durften. Schon das Änderungsgesetz zum Reichsautobahngesetz vom 27. Juni 1933 hatte festgelegt, dass der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen den Bau von Nebenbetrieben in einer Entfernung bis zu 500 m außerhalb geschlossener Ortschaften genehmigen musste. [8] Die Zapfsäulen-Technik schritt ständig fort. Der Typ in Bild 10 war speziell für Reichsautobanzwecke entwickelt worden, um den Tankvorgang zu beschleunigen. Im Gegensatz zu den damals in Deutschland gebräuchlichen handbetriebenen Zapfsäulen mit Doppelmessgefäßen zu je 5 Liter, die ihren Inhalt über die Schwerkraft in den Tank des Fahrzeugs abgaben, war die Neukonstruktion mit einem elektromotorischen Antrieb für die Pumpe, einem druckfesten Messkörpern und einer Messtrommel mit Mengenvoreinstellung ausgerüstet; Lieferant war die Firma S. u. B. (genauere Angaben konnten nicht ermittelt werden). [9] Die Tankstelle nach 1945Was wurde aus der Tankstelle Frankfurt/M.-Nord nach dem Kriege? Sie war bis etwa 1968 im Betrieb, bevor sie (vermutlich 1968) im Zuge des ersten Umbaus der Kreuzung Frankfurt-West 1969 bis 1971 abgerissen wurde. Gleichzeitig wurde die 1934/35 errichtete, 19,15 m breite Unterführung der damaligen Autostraße nach Wiesbaden (heute Autobahn A 648) durch einen Neubau ersetzt. Ursprünglich handelte es sich um eine Plattenrahmenbrücke aus Eisenbeton; Widerlager und Brückenflügeln aus Schwerbeton mit Prellschlag; Ausführung: Kögel, Frankfurt/M.; Baubeginn: 22.9.1934, Bauende: ca. Mitte 1936). Aufgrund der erneuten Umgestaltung der Kreuzung Ende der 1970er-Jahre und der wiederholten Verbreiterung der Richtungsfahrbahnen sind sämtliche Originalbauten verschwunden. Wie Bild 11 zeigt, gehörte die Tankstelle in der Nachkriegszeit zum Netz des BP-Konzerns. Wegen der steigenden Nachfrage nach Imbissmöglichkeiten war direkt neben der Einfädelspur in Fahrtrichtung Süd eine kleine Raststätte mit Aussichtsterrasse zur Nidda hinzugebaut worden. [11] Bild 11: Tankstelle und Raststätte Frankfurt/M.-Nord, um 1965 [11]
Auf Höhe des Tankgebäudes (im Hintergrund des BP-Firmenschildes zu sehen) blieb seinerzeit erstaunlicherweise der charakteristische Hinweis auf die Tankstelle aus der Reichsautobahnzeit erhalten. Neben dieser einfachen Version gab es bereits damals auch einen Vorschlag für ein Neonschild mit genauer Spezifikation, wie in Bild 12 dargestellt. [12] Bild 12: Zeichnung für die Anfertigung eines Neonschildes für RAB-Tankstellen
Den Hinweis auf eine Tankstelle an der Reichsautobahn sowie die Wegweisung regelte die technische Vorschrift RAB T-1 Jwkb 286 vom 12. August 1939. So könnte das auch im Falle der Tankstelle Frankfurt/M.-Nord ausgesehen haben. [13] Bild 13: Beschilderung einer Tankstelle an der Reichsautobahn Anmerkungen
© Text und Gestaltung: Reiner Ruppmann, Bad Homburg, Juli 2015
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