Auf der Autobahn A 67, nach km 34,0 (Fahrtrichtung Süd) bzw. nach km 33,0 (Fahrtrichtung Nord), passiert man etwa auf Höhe des seit 1971 zu Gernsheim gehörenden Dorfes Allmendfeld die letzte noch existierende Überführung aus der Zeit des Reichsautobahnbaus (Strecke 34 Darmstadt – Mannheim). Die Brücke mit der Bauwerksnummer 61217687 war zusammen mit der Eröffnung der Teilstrecke Darmstadt - Mannheim am 3.Oktober 1935 für den Verkehr freigegeben worden. Heute bezeichnen die Brückenfachleute von Hessen Mobil, dem vormaligen Hessischen Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen (HLSV), die Brücke als "abgängig". Das bedeutet: Sie hat die übliche Standzeit längst überschritten, das Bauwerk kann auf Dauer nicht erhalten werden, eine denkmalpflegerische Konservierung erscheint nicht machbar. Deshalb soll dieser letzte Zeuge der ersten Reichsautobahn im Zuge der fälligen Erweiterung der A67 auf sechs Fahrstreifen und der Errichtung der ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke Frankfurt - Mannheim abgerissen werden. Für eine Verlagerung der Brücke fehlt das Geld, ganz abgesehen davon, dass angesichts knapper öffentlicher Kassen niemand dafür Verständnis hätte, ein Baurelikt aus der nationalsozialistischen Ära zu erhalten. Eine in gleicher Bauweise errichtete Brücke für die Straße Pfungstadt – Eschollbrücken über die frühere Reichsautobahn war bereits im Oktober 2006 beseitigt und durch ein neues Bauwerk ersetzt worden, das am 30. Juli 2007 eingeweiht wurde. Das Kennzeichen beider Brücken waren die in den 1960er Jahren abgesenkten Richtungsfahrbahnen, mit denen die lichte Höhe an die inzwischen größeren LKW-Aufbauten angepasst worden war. Während die beiden abgerissenen Brücken immerhin eine Funktion als Fern- bzw. Gemeindeverbindungsstraßen hatten, diente die Brücke bei Allmendfeld allein dem landwirtschaftlichen Verkehr. Das lässt sich nur verstehen, wenn man einen Blick auf die Geschichte des westlich der Autobahn gelegenen Dorfes wirft. Es war 1937 im Rahmen eines nationalsozialistischen Muster-Siedlungsprogramms als Erbhof-Bauerndorf im hessischen Ried gegründet und von nordhessischen Bauern besiedelt worden (weitere Neugründungen dieser Art in der Region waren Hessenaue und Riedrode). Der Ortsname Allmendfeld leitet sich vom mittelhochdeutschen Begriff „all(ge)meinde“ ab, der das im Besitz der Dorfgemeinschaft befindliche, unteilbare Grundeigentum innerhalb einer Gemarkung bezeichnete. Ob die Brücke vorausschauend im Hinblick auf die Dorfgründung errichtet worden war, damit die Allmendfelder Bauern auch landwirtschaftliche Grundstücke östlich dieses Abschnitts der damaligen Baustrecke 34 erreichen konnten, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Zumindest ist anzunehmen, dass bei der seinerzeitigen in der Gegend durchgeführten Flurbereinigung zur Vorbereitung des Reichsautobahnbaus größere zusammenhängende Grundstücke entstanden sind, die zur Bewirtschaftung auf kurzem Weg über die Autobahn hinweg angefahren werden sollten.
Bild 1: Blick auf die Betontrogbrücke über die heutige A 67 im April 2012 (Fahrtrichtung Nord) Nähert man sich der Brücke von Norden oder von Süden, so fällt zuerst die ungewöhnlich massive Ausführung auf. Sie war beim Autobahnbau zwischen 1933 und 1935 im Rhein-Main-Gebiet für die ersten Überführungsbauwerke üblich. Paul Bonatz bezeichnete die „Überführung fremder Straßen über die Autobahn“ als die „bescheidenste Aufgabe“ für den Ingenieurbau. Er kritisierte jedoch Brücken dieser Bauart als „ein ausdrucksloses und gleichgültiges Gebilde“, weil sich die horizontale Tragekonstruktion mit den Widerlagern und den Stützen auf dem Mittelstreifen „in gleicher Ebene und in gleicher Breite in einem nichtssagenden Kreuzungspunkt treffen“. [1] Gut zu erkennen ist der geringe Abstand der Brückenwiderlager vom Fahrbahnrand und dem ca. 1 m breiten „Schutzstreifen“, aber noch vor dem Entwässerungsgraben neben der Autobahn. Die beiden Durchlässe für die Fahrbahnen scheinen wie aus einer Wand herausgeschnitten. |
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Bilder 2 und 3: Details der Trogbrücke (Blick nach Nordwesten bzw. Norden) | |
Grundlage für Dimensionierung und Ausführung waren die Reichsbahnnormalien, d. h. die Standards für Eisenbahnbrücken über Straßen. Bautechnisch handelt es sich um eine einfache Balken- oder „Deckbrücke mit massiver Brüstung“ in Sichtbeton-Bauweise. [2] Widerlager, Flügelmauerwerk und Mittelstützen wurden damals als Schwergewichtsmauern in Stampfbeton aufgebaut. [3] Der Plattenbalken mit 10 Querstegen aus Eisenbeton Zum Schutze vor einem Aufprall durch schnell fahrende Fahrzeuge erhielten die Mittelstützen auf beiden Seiten außen massive Ramm-Pfeiler; wann diese errichtet wurden, ließ sich ohne Einblick in das Brückenbuch nicht feststellen. Insgesamt gesehen ist die Brücke heute in keinem guten Zustand. Beton-Abplatzer und Flickstellen weisen darauf hin, dass sie nur noch verkehrssicher erhalten, ihr aber kein besonderer Wert als Baudenkmal zugemessen wird.
Bild 4: Untersicht der Betontrogbrücke. Deutlich zu erkennen sind die Rahmenbausweise und die tragenden Querstege. |
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Bild 5: Reichsautobahn-Überführung bei Lorsch 1934 entstand dieses Foto vom Bau einer Autobahnüberführung bei Lorsch. Auch hier steht das Widerlager direkt am Graben neben der Fahrbahn. Leider ist nicht überliefert, welche Brücke hier gebaut wird. Eventuell handelt es sich um die Überführung der Landesstraße von Lorsch nach Großhausen. [4] |
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Bild 6: Überführung aus Stahl über die Reichsautobahn Frankfurt - Mannheim Einen zeitgenössischen Eindruck von der Reichsautobahn in der Nähe von Gernsheim vermittelt die Aufnahme aus dem Jahre 1939. Sie zeigt die Autobahn Frankfurt - Mannheim im hessischen Ried. Der Blick geht von einer Stahlbrücke in Fahrtrichtung Süd. [5] Bis 2013 diente diese Überführung – wenn auch nicht mehr voll leistungsfähig – dem landwirtschaftlichen Verkehr. In der Nacht vom 14. zum 15.09.2013 wurde sie wegen Baufälligkeit abgerissen und 2014 durch einen Neubau ersetzt (siehe dazu den Beitrag „BAB A67: Die erste Wegüberführung aus Stahlblech über die (Reichs-)Autobahn – und ihre von der Öffentlichkeit unbemerkte Erneuerung 2013/14“ auf dieser Website). |
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Bild 7: Die Überführung bei Bau-km 37,256 nahe Gernsheim an der Strecke Frankfurt - Mannheim im Jahre 1936. Sie verband die Gemeinden Hähnlein und Gernsheim. [6] Die Anschlussstelle Gernsheim wurde erst in den 1950er Jahren gebaut. Auch diese Brücke musste inzwischen einem Ersatzneubau weichen. Die Ästhetik der Abrißarbeiten hat der Fotograf Franco Laeri in dramatischen Schwarz-Weiß-Fotografien festgehalten. Mein Dank gilt an dieser Stelle dem Bildautor für die Überlassung des Copyright und der Stabsstelle Strategie und Kommunikation von Hessen Mobil für die freundliche Unterstützung. [7] |
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Anmerkungen:
[1] Siehe Paul Bonatz, Die Form der Brücken der Reichsautobahn, in: Die Strasse 1 (1934), August, S. 14 – 18, Zitate S. 14ff. [2] Karl Schaechterle und Fritz Leonhardt, Die Gestaltung der Wegüberführungen über die Reichsautobahn, in: Die Strasse 1 (1934), 1. Dezemberheft, S. 239 – 243. [3] Zum konstruktiven Aufbau der frühen Reichsautobahnbrücken siehe H. Leidner, Brücken der Reichsautobahn Main – Neckar, in: Die Reichsautobahn, Juni 1934, S. 352 – 355. [4] LAGIS – Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen: „Bau der Reichsautobahn bei Lorsch, 1934“ in: Historische Bilddokumente [5] LAGIS – Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen: „Die Reichsautobahn bei Gernsheim, 1939“, in: Historische Bilddokumente [6] Bildrechte Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Fotosammlung, Abt. 3008, Bild 19132-e. [7] ] © Dr. rer. nat. Franco Laeri Reiner Ruppmann, Juli 2012/Mai 2016
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